Frauen an den Fronten. Das Interview mit Monika Dobrowlańska führte Julia Wysocka

Frauen an den Fronten. Das Interview mit Monika Dobrowlańska führte Julia Wysocka
Januar 16, 2017 x

Stiftung für deutsch polnische Zusammenarbeit

Frauen an den Fronten. Das Interview mit Monika Dobrowlańska führte Julia Wysocka

Text: Julia Wysocka
Übersetzung aus dem Polnischen: Isabella Feld

Am 23. Mai findet im Maxim Gorki Theater in Berlin die Premiere des Stückes „Displaced Women” statt. Regisseurin Monika Dobrowlańska spricht über das Konzept dieses trilateralen Projekts und die unaufhörlichen Schwierigkeiten, auf die man trifft, wenn man das Thema Krieg behandelt.

Julia Wysocka: Wie entstand das Projekt „Displaced Women“?

Monika Dobrowlańska: Das war ein langer Prozess. Ich kam in Polen, Deutschland und Weißrussland mit verschiedenen Texten in Berührung, die ungewöhnliche Frauenschicksale beschreiben, über welche nach dem Krieg oft geschwiegen wurde. Sie lassen sich nicht mit der kollektiven, heldenhaften Kriegserfahrung vereinbaren, welche wir den jungen Generationen vermitteln wollen. Die Geschichten dieser Frauen inspirierten mich zu dem Theaterprojekt.

Generell wird Krieg eher als Männersache angesehen.

Eindeutig. Diese Texte, die eigentlich sehr unterschiedlich sind, brachten mich zum Nachdenken. Ich dachte mir: warum nicht ein Theaterstück machen, das andere Sichtweisen auf Frauenschicksale im Krieg darstellt? Es gibt nicht nur eine Wahrheit und sie ist nicht schwarz-weiß. Außerdem fand ich in diesen Geschichten viele übereinstimmende Elemente.

Welche?

Ich bemühe mich diese im Stück aufzuzeigen. Jeder, der von mir ausgewählten Texte ist wirklich einzigartig, aber hat auch etwas gemeinsam mit den Übrigen. Den weißrussischen Teil bilden die Reportagen von Swetlana Alexijewitsch mit dem Titel „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“. Darin sind Schicksale von Soldatinnen beschrieben, die erst 30 bis 40 Jahre nach dem Krieg begannen Alexijewitsch ihre Geschichten zu erzählen. Vorher wollten sie nicht zu ihrer Vergangenheit zurückkehren und sie verzichteten auf viele Vergünstigungen, die Kriegsveteranen zustehen. Man darf nicht vergessen, dass diese Frauen oft krank waren – sie gingen als sehr junge Frauen in den Krieg. Sie waren noch keine 20 und manchmal kehrten sie beinahe als menschliche Wracks aus dem Krieg zurück.

Erst nach vielen Jahren versuchen sie sich von dem Trauma zu befreien.

Sie bekommen auch mehr Mut über ihre Erlebnisse zu sprechen. Nach Jahren kommen sie zu dem Schluss, dass ein solches Geständnis doch wichtig ist. Sie haben letztlich nichts zu verlieren. Einer der Gründe für ihr Schweigen nach dem Krieg war die Angst von der Gesellschaft abgelehnt zu werden. Diese Frauen hatten Angst, dass sie kein normales Leben führen können, denn wer will schon mit einer Soldatin zusammenleben, die 70 Menschen getötet hat?

Aber mit einem Soldaten will jeder zusammen sein?

Genau, denn das ist männlich, oder? Ihre Familien rieten ihnen, über ihre Vergangenheit zu schweigen. Sie wurden sogar Fronthuren genannt! Ihre komplizierten Schicksale hingen zum Teil mit Soldaten zusammen, mit denen sie an der Front waren und von denen sie dann verlassen wurden. Zu lange hatten diese die Frauen in Soldatenstiefeln und -hosen gesehen und sahen sie als „Mannweiber“ an. Die Schicksale dieser Frauen waren wirklich tragisch.

Und bestimmten ihr weiteres Leben nach dem Krieg?

So war es in den meisten Fällen. Das Leben in den Ländern der ehemaligen UdSSR war schwierig und die Gesellschaft war vielen Einschränkungen unterworfen. Schlecht wurden vor allem die behandelt, die in Gefangenschaft gerieten oder Zwangsarbeiter waren. Stalin sagte, dass es keine Gefangenen gäbe, sondern nur Verräter. Die Menschen kämpften im Krieg, danach wurden sie für viele Jahre nach Sibirien geschickt, und außerdem wurde die ganze Familie verfolgt, weil jemand Gefangener war. Ich habe die Lebenserinnerungen einer Frau gelesen, deren Mann Gefangener war und nach Sibirien geschickt wurde. Die erste Frage in allen Bewerbungen für eine Arbeitsstelle war: war jemand aus Ihrer Familie Kriegsgefangener? Und sie, die vor dem Krieg Lehrerin war, konnte nicht einmal als Putzfrau Arbeit in einer Schule finden.

Das Theaterstück soll die Stärke der Frauen zeigen und Stereotype überwinden?

Mein Hauptziel ist es, besondere Frauenschicksale, die sich bedeutend von Männerschicksalen unterscheiden, vorzustellen. Das Theaterstück an sich bricht mit Stereotypen, denn das macht die Berichte aus. Die Protagonistinnen sagen, dass sie nicht in Kesseln rühren oder irgendwo im Hintergrund Uniformen waschen wollten. Sie wollten an vorderster Front sein, als Scharfschützinnen oder Fliegerinnen, die typisch männliche Aufgaben übernahmen. Zum Teil waren sie sogar geschickter als ihre männlichen Kollegen. Die meisten von ihnen begannen zu kämpfen, als die Deutschen sich Moskau näherten. Alle waren schon im Krieg und damals fing man an junge Frauen einzusetzen.

Frauen waren also Teil der Geschichte.

Wenn sie aktiv teilnehmen wollten, was natürlich seinen Preis hatte. In meinem Projekt versuche ich das zu erklären.

Das heißt, das Theaterstück ist eine Art Ehrung dieser Frauen?

Ja, ich wäre sehr froh, wenn diese Schicksale nicht in Vergessenheit gerieten.

Sie zeigen den Krieg aus drei unterschiedlichen Perspektiven – aus der Sicht einer Weißrussin, einer Deutschen und einer Polin. Für einen Regisseur ist es keine leichte Aufgabe aus mehreren verschiedenen Texten eine Einheit zu bilden.

Ich muss zugeben, dass ich mich damit an eine Herausforderung wagte. Das Skript für das Theaterstück schrieb ich zusammen mit dem Dramaturgen Michał Walczak.

Ich habe noch nichts zu dem deutschen Text gesagt, der mich zu diesem Projekt inspiriert hat. Er heißt „Anonyma. Eine Frau in Berlin”. Er erschien in Deutschland in den 50er Jahren und wurde damals von der Gesellschaft abgelehnt. Er wurde mit großer Entrüstung aufgenommen, weil er die ersten Wochen des Vormarsches der Roten Armee nach Berlin behandelt. Er erzählt von Massenvergewaltigungen an deutschen Frauen, an sich ein Thema, das auch früher schon untersucht wurde. Vorher gab es allerdings noch keine Beschreibungen der Überlebensstrategien dieser Frauen. So wie die der Autorin dieser Aufzeichnungen, die schreibt, dass sie sich einen hochrangigen Offizier aussuchte, um nicht ständig vergewaltigt zu werden. Er sollte sie davor beschützen. Sie war nicht die Einzige, die eine solche Wahl traf, dennoch handelt es sich hierbei eher um Einzelfälle.

Vor kurzem waren Sie in Łodź, um die Verfasserin des polnischen Textes zu treffen.

Ich habe verschiedene Erinnerungen von Zwangsarbeitern gelesen. Es gibt eine Publikation der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung und dort fand ich die Geschichte einer der Arbeiterinnen. Es gelang mir, mich mit dieser Frau in Verbindung zu setzen und sie gab ihre Zustimmung dafür, ihre Geschichte für das Theaterstück zu verwenden. Meiner Meinung nach ist es eine außerordentlich emotionale Erfahrung, besonders für einen älteren Menschen, wenn über sein Leben erzählt wird.

Glauben Sie, dass Deutsche mutiger über ihre Vergangenheit sprechen?

Es kommt mir vor, als ob sie es eindeutig mutiger tun als Polen. In unserem Land beginnt man erst jetzt über manche Dinge, die mit dem Thema des Zweiten Weltkriegs zusammenhängen, zu sprechen. Das Schweigen darüber war unter anderem eine Folge der komplizierten politischen Situation.

Die Polen leben in der Vergangenheit und die Deutschen wollen nach vorne schauen?

Legenden sind die Grundlage unseres Denkens und wir sind schockiert, wenn gewisse, für uns nicht besonders angenehme Dinge ans Licht kommen. Man muss über das reden, was schmerzlich ist, auch für uns. Im Theaterstück geht es mir auch darum, dass man sich gegenseitig aus der Perspektive verschiedener Nationen betrachtet. Wie eine Soldatin, die an der Front ist, die Deutschen sieht und wie Soldaten der Roten Armee. Dazu kommt noch eine Zwangsarbeiterin. Außerdem ist diese im wahrsten Sinne des Wortes eine displaced person. Der Titel des Projekts ist eine Umschreibung dieses Begriffs. Es ist, anders gesagt, eine Person, die sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet, deren Erlebnisse sich nicht einreihen lassen in die kollektiven Erlebnisse ihrer Nation. Sie musste Erfahrungen machen, über die man besser nicht spricht, die unbequem sind. Im Grunde genommen sind es solche, unbequeme Personen.

Hatten die Schauspielerinnen keine Probleme damit, sich mal in die Rolle des Täters, mal in die Rolle des Opfers zu versetzen?

Ich habe Schauspielerinnen ausgewählt, die meiner Meinung nach einfach zu diesen Rollen passen. Die Besetzung setzt sich aus Svietlana Anikej, Monika Dawidziuk  und Anna Poetter zusammen. Ich vertraue Ihnen, dass sie die Figur verkörpern, um die es mir geht und dass in diesem internationalen Team die Kommunikation gut funktioniert. Sie sind sehr offen und interessiert und bedienen sich keiner Stereotypen.

Wie reagierten sie auf Ihr Angebot?

Begeistert. Ich bin sehr positiv überrascht, das Theaterstück erfreut sich wirklich großen Interesses. Es kommt einem vor, als wäre schon so viel über den Zweiten Weltkrieg gesagt worden, dass man nicht mehr viel Neues dazu sagen kann. Und doch. Gerade diese Schaffung von Legenden und die Unaufrichtigkeit, die mit dieser Problematik einhergehen, provozieren mich.

Es gibt eine einfache Aufteilung: in die Bösen und die Guten.

Erstens das. Aber zweitens: wir waren nicht immer Opfer.